Seit über einem Jahr hat ein kleiner Virus die Welt fest in seinen Fängen. Das Corona-Virus überraschte die Erdbevölkerung regelrecht und zwang sie zu radikalen Umstellungen.

In meinem Alltag als Arzthelferin stehe ich vor allem einem Nachteil des Virus gegenüber: Aggression.

Ungefragt und ungewollt wird mir und meinen Kollegen jeden Tag Frust, Wut und Zorn entgegen geworfen. Doch warum?

Sollte nicht der Zusammenhalt das Wichtigste sein?
„Gemeinsam stark!“ suche ich bei der Arbeit umsonst. Hier zählt nur „Nach mir die Sintflut!“

Warum einfach, wenn es auch umständlich geht?

Wäre es nicht einfacher gemeinsam an einem Strang zu ziehen, um dasselbe Ziel erreichen zu können? Jeder muss heutzutage Opfer bringen. Warum also nicht zusammenhalten?
Sicherlich leiden vor allem Familien unter der erzwungenen Trennung. Doch die Gesundheit der geliebten Familienmitglieder steht nun mal im Vordergrund. Dass dabei leider zu oft über die Stränge geschlagen und der eigene Anstand vergessen wird, erlebe ich jeden Tag.

Nicht nur ich als Arzthelferin musste bemerken, dass Dankbarkeit Mangelware ist. Dasselbe habe ich auch z. B. beim Einkaufen bemerkt.

Auf Spurensuche

Nach unzähligen Diskussionen und hitzigen Auseinandersetzungen habe ich mir Gedanken über die Ursprünge dieser Aggressionen uns gegenüber gemacht:

  • Missgunst: „Wenn ich nicht zufrieden bin, dann darf es auch kein anderer sein!“
  • Angst/Ablehnung: „Ich habe große Angst vor den Folgen des Virus und fürchte um meine Liebsten – der Virus DARF NICHT SEIN!“
  • Unsicherheit: „Was ist erlaubt und was nicht? Was kommt denn noch dazu? Wie geht es weiter?“
  • Egoismus: „Regeln gelten generell nicht für mich, daher akzeptiere ich auch keine Hinweise darauf.“
  • Verschwörung: „Das Virus existiert nicht und die ganze Welt wird an der Nase herumgeführt.“

Problematisch wird es für mich vor allem dann, wenn die besagten vermuteten Gründe in ihrer Ausführung unlogisch sind. So stellt z. B. eine „besorgte“ Tochter ihre Mutter plötzlich als dement dar, nur um sich nicht an die Regeln halten zu müssen (keine Begleitperson erlaubt). Krankheiten werden erfunden, Angehörige dümmer gemacht. Selbst das Wort „Diskriminierung“ wird aus der Kreativkiste geholt. Ob es in den Kontext passt, ist dabei völlig egal.
Und nur, weil ich mich an Regeln halten muss, die mir die Möglichkeit sichern, weiter arbeiten zu können. Zudem sind diese schließlich dazu da, das Risiko für alle anderen Patienten mit zu minimieren.

Wie es in den Wald hinein ruft…

Einen Aspekt der wachsenden Aggression, den ich bis heute nicht nachvollziehen kann, ist das gesteckte Ziel mit diesem Verhalten.

Wieso sollten lautes Gebrüll, Beleidigungen und Drohungen Vorteile schaffen? Ich selbst habe die Erfahrung gemacht, dass Anstand und Höflichkeit viel mehr Türen öffnen als unverschämtes Verhalten.
Ein gern genutzter Versuch ist z. B. der barsch vorgetragene Befehl einen Termin beim Chef zu bekommen.

Ich sehe mich somit einem Patient gegenüber, der mir seinen „besonderen“ Status verdeutlichen möchte. Mit hochnäsigem Blick werde ich dann vorwurfsvoll darauf hingewiesen, dass ich einen Privatpatient vor mir habe und ihm damit alle Vorzüge zustehen würden, die in seiner imaginären Welt möglich sind. Damit sind sie in mir aber an die falsche Person geraten, was ich ihnen auch jedes Mal rasch verdeutliche.

Ich komme aber trotzdem nicht umhin, mich zu fragen, warum und wie sie mit diesem Verhalten durch den Alltag kommen. Schließlich kann ich doch keine Geschenke von jemandem erwarten, den ich dauernd wie Dreck behandle.

Was funktioniert, kann nicht schlecht sein

Mir ist bewusst, dass ich unter meinen Kollegen eine der wenigen bin, die sich nichts gefallen lassen. Jeder Patient muss sich meinen Respekt verdienen und daher lasse ich mir sicher nicht vorschreiben, wer welche Vorzüge genießen darf – schon gar nicht aufgrund von eigenen Überzeugungen. Das muss im Übrigen nicht nur die Versicherung sein, sondern hat oft genug Verschwörungstheorien als Ursache.

Ich persönlich wünsche mir jedoch, dass sich diese aggressiven Menschen einmal in ihre Mitmenschen hinein versetzen. Was sie in ihnen mit ihrem Verhalten anrichten, bleibt ihnen definitiv verborgen. Sie haben nur Augen für ihre eigenen Ziele und dabei ist ihnen jedes Mittel recht.

Um zu bekommen, was sie wollen scheinen sie auf Respekt und Sympathie zu verzichten, obwohl sie genau das verlangen.

Wir alle leiden unter den Folgen von der Corona-Pandemie. Daher ist es nachvollziehbar, dass es viele von uns leid sind. Somit gibt es die, die ihren Frust an anderen auslassen. Und es gibt die, die deren und ihren eigenen Frust ertragen müssen.

Resignation um des Friedens Willen

Ist es daher verwunderlich, dass viele stillschweigend die von Corona gesteuerten Aggressionen stumm ertragen?

Auch ich bin es, vor allem gegen Ende jeder Woche, irgendwann leid Patienten auf das richtige Tragen der Maske hinzuweisen, ihre Begleitpersonen hinaus zu bitten und über die geltenden Regeln zu diskutieren.

Gemeinsam zum Ziel

Fest steht, dass wir alle im selben Boot sitzen. Wir alle mussten uns an eine neue Situation gewöhnen und einer riesigen Herausforderung entgegenstellen.

Doch da wir alle dasselbe Problem haben, sollten wir es auch gemeinsam angehen und uns nicht gegenseitig im Weg stehen. Aggressionen haben noch nie jemandem geholfen.
Sie mögen einen Weg zum Ziel ebnen, doch dieser ist gespickt mit Hass, Wut, Respektlosigkeit, Egoismus und Missgunst.

Auch wenn mein Traum von Anstand und Höflichkeit noch lange ein solcher bleiben wird, bleibt noch ein kleiner Funke Hoffnung: Die Hoffnung, dass die wahren Gesichter, die durch die Corona-Pandemie ans Tageslicht gebracht wurden, für ihre Träger Konsequenzen haben werden. Denn offenbar lernen sie nur so aus ihrem Verhalten – so gemein sich das momentan auch anhören mag.