Nachdem ich im Laufe der vergangenen 53 Jahre so um die 5000 Bücher gelesen habe, kann ich sagen: dieses Buch ist ein Kleinod. Jedenfalls für mich. Und ich bespreche es hier, um dich zu verlocken, es auch zu lesen.

Selten, nein, noch nie habe ich soviel tiefe Informationen und reiche Inspiration in einem Buch mit nur 175 Seiten gefunden.

Anmerkung: Ikigai wird mal ganz groß und mal ganz klein geschrieben, ich habe es so übernommen, wie es am leserlichsten ist: Ikigai.

Der Autor Ken Mogi hat sowohl japanische als auch amerikanische Wurzeln und beschreibt in Ikigai* eine Säule japanischer Tradition. Wörtlich übersetzt, ist Ikigai „das, wofür es sich zu leben lohnt“.

Jeder von uns hat schon von der japanischen Kunst des Ikebana oder sogar vom Wabisabi (nicht zu verwechseln mit Wasabi!) und genau so eine Lebenskunst beschreibt Ikigai.

Der Sinn des Lebens

Wir hier im Westen plagen uns häufig regelrecht mit dem „was ist der Sinn meines Lebens“, es zeigt sich in den unterschiedlichsten Formen:

Da ist die Suche nach:

  • dem Beruf, der „perfekt“ zu uns passen soll.
  • dem idealen Partner.
  • dem absolut erfüllenden Hobby.
  • dem besten Umfeld für uns unsere Familie.
  • dem optimalen Haus.
  • dem optimierten Körper.
  • und so weiter.

Insgesamt wollen wir nicht weniger, als aus allem das Optimum heraus holen und dulden dabei keine Abstriche, denn unsere Idee ist meist, wenn wir das Allerbeste aus allem herausgekitzelt hätten, wären wir endlich glücklich.

Dabei unterliegen wir dem Trugschluss, dass sich Glück nicht als Produkt eines optimierten Lebens einstellt, sondern das Lebensglück bewirkt, dass sich äußere Umstände fast beliebig einfügen (lassen), wenn wir es nicht „benutzen“, sondern es leben.

Das scheint schwer fassbar zu sein, ist aber in Ikigai von Mogi ganz wunderbar beschrieben.

Anhand authentischer Einblicke in die japanische Kultur erläutert Ken Mogi die Tiefe von Ikigai und zeigt auf, warum es gesund ist und dauerhaft glücklich macht.

Mogi ist Hirnforscher und der erste, der sich wissenschaftlich mit Ikigai befasst hat, und er beschreibt in seinem Buch* sowohl die Wirkweise, als auch die historischen Dimensionen dieser Lebenskunst.

Der vielleicht wichtigste Aspekt für uns Westler ist, dass man Ikigai nicht praktiziert „um zu“, sondern weil man sich ihm als Prinzip hingibt und dadurch außergewöhnliche Ergebnisse oder Erfolge erzielen kann.

Wir sind es gewohnt, auf das Ergebnis zu schauen, das wir erreichen wollen, zum Beispiel, um mit einem erzeugten Produkt viel Geld zu verdienen.

Ikigai ist der Weg selbst.

Und die Hingabe des ihn Gehenden an eben diesen Weg als Prozess des Werdens.

Die 5 Schritte des Ikigai

Die 5 Schritte oder auch 5 Säulen genannte Stufen des Ikigai sind:

  1. klein beginnen
  2. lernen, loszulassen
  3. Harmonie und Nachhaltigkeit leben
  4. die Freude an kleinen Dingen pflegen/entdecken
  5. im Hier und Jetzt leben

In diesen 5 Schritten liegen Schlüssel und Erfüllung und in den 10 Kapiteln seines Buches beschreibt der Autor anhand von Beispielen typisch japanischer Lebensführung diese Lebenskunst.

Ob Sumoringen, Blumenstecken, Kochen oder das Zelebrieren der Teezeremonie, das Ausüben eines religiösen Rituals oder gar der Abwurf einer Atombombe – alles kann Ikigai sein.

Ganz wunderbar deutlich macht Ken Mogi es an der Überlieferung der Sternenschalen, eines japanischen Nationalschatzes. Diese Geschichte beschreibt ganz genau, was Ikigai meint. Im Buch ist sie in Kürze wieder gegeben und auf den Seiten 54 bis 59 kann sie nachgelesen werden.

Doch bezieht sich Ikigai bei weitem nicht ausschließlich auf historisch Überliefertes oder gar Traditionelles. Auch sehr moderne Aspekte, die wir als „typisch japanisch“ empfinden, können Ikigai sein oder sind es meist.

Animezeichnungen und Filme zum Beispiel. Und Cosplay-Veranstaltungen und Fachmessen dafür. Auch das beschreibt Mogi sehr anschaulich in seinem Buch.

Ikigai und Cosplay

Interessant der Aspekt, dass es zum Beispiel Wettbewerbe um das schönste Kostüm gibt, aber alle Teilnehmer den gleichen Respekt erfahren, weil Wettbewerb unter dem Gesichtspunkt des Ikigai etwas vollkommen anderes bedeutet, als gewinnen zu wollen.

Es geht um das Erleben des Wettbewerbes selbst, um alle und alles. Und weil allen zutiefst bewusst ist, dass das Ganze viel mehr ist als die Summe seiner Teile, wird allen gleichermaßen applaudiert. Alle erfreuen sich an der Veranstaltung aller.

Und wenn auf Messen für Animezeichnungen solche Kunstwerke verkauft werden, ist die Standgebühr für alle Aussteller gleich hoch und alle bekommen die gleiche Verkaufsfläche zugewiesen.

Ein ganz besonderes Beispiel zum Abschluss meiner Besprechung mag das Prinzip des Ikigai im Gagaku sein.

Ikigai im Gagaku

Das Gagaku wird seit mehr als 1000 Jahren am japanischen Kaiserhof zelebriert.

Es ist eine traditionelle Form einer ganz besonderen Musik auf speziellen Instrumenten und eines Tanzes, der dazu getanzt wird.

Beides wird seit der Togi–Zeit ( 710 – 794 ) am Kaiserhof aufgeführt, also seit mehr als 1300 Jahren.

Die Musiker und Tänzer spielen und tanzen OHNE jedes Publikum, niemand sieht sie, niemand hört ihnen zu.

Und niemand empfindet das als etwas Außergewöhnliches. Oder gar als etwas Sinnloses.

Einmal nach der Sinnhaftigkeit gefragt, hat einer der Musiker geantwortet, sie spielten den ganzen Tag bis spät in die Nacht und dabei hätten sie manchmal das Gefühl, die Geister der schon verstorbenen Kaiser kämen, hörten ihnen eine Weile zu und zögen dann weiter.

Alle Musiker und Tänzer empfinden es als allergrößte Ehre, dort musizieren und tanzen zu dürfen und vergessen regelmäßig Zeit und Raum während ihrer Darbietung.

Fazit

Wer sich weiter mit Ikigai beschäftigen möchte, kann den Begriff einfach in die Suchmaschine eingeben und wird erleben, dass es sogar kostenfreie Online–Tests für Interessenten des Ikigai gibt.

Bis ich auf das Buch von Ken Mogi stieß, hatte ich noch nie von Ikigai gehört, aber es scheint schon länger ganz bekannt zu sein, denn es gibt mehr als 5,5 Millionen Hinweise darauf im World Wide Web.

Viel Freude beim Finden von noch mehr Ikigai und noch viel mehr Erfüllung bei der Anwendung dieses Prinzips im täglichen Leben!

Angaben zum Buch

„Ikigai – Die japanische Lebenskunst“* von Ken Mogi, erschienen 2018 im Verlag DUMONT, aus dem Englischen von Sofia Blind

Inhalt:

  • Vorbemerkung : Die Fünf Säulen des Ikigai
  • Kapitel 1 : Was ist Ikigai?
  • Kapitel 2 : Ihr Grund, morgens aufzustehen
  • Kapitel 3 : Kodawari und der Nutzen des Denkens im kleinen Maßstab
  • Kapitel 4 : Die sinnliche Schönheit von Ikigai
  • Kapitel 5 : Flow und Kreativität
  • Kapitel 6 : Ikigai und Nachhaltigkeit
  • Kapitel 7 : Ihr Lebensziel finden
  • Kapitel 8 : Was uns nicht umbringt, macht uns stärker
  • Kapitel 9 : Ikigai und Glück
  • Kapitel 10 : Akzeptieren Sie sich so, wie Sie sind
  • Zum Schluss: Finden Sie Ihr eigenes Ikigai