Cradle to Cradle
Cradle to Cradle bezeichnet ein Prinzip, bei dem Produkte am Ende ihres Lebens nicht mühsam entsorgt, aufbereitet oder verbrannt werden müssen, sondern all ihre Bestandteile ökologisch gerecht wieder nutzbar sind - wie im geschlossenen Kreislauf der Natur.
Erfahre in unserem Artikel, was Cradle to Cradle ist, wie es theoretisch funktionieren soll und wie es praktisch umgesetzt wird.
Was ist Cradle to Cradle?
Cradle to Cradle (abgekürzt als "C2C") ist ein Nachhaltigkeitskonzept aus den 2000er Jahren, das für eine durchgängige und konsequente Kreislaufwirtschaft steht.[1] Auf Deutsch bedeutet es so viel wie "von der Wiege zur Wiege" und stellt sprachlich einen Gegenpol zu dem Spruch "von der Wiege bis zur Bahre" dar, der sich auf den herkömmlichen Produktionsansatz bezieht. Das Cradle to Cradle-Konzept möchte einen endlosen "Geburten"-Nachhaltigkeits-Zyklus ermöglichen und den bisherigen Produkt-Tod mit der Müll-Hinterlassenschaft vermeiden. Aus diesem Grund wurde auch das Unendlichkeitszeichen als Symbol des Cradle to Cradle-Ansatzes gewählt.
Produkte, die diesem Nachhaltigskeitskonzept gerecht werden, werden als "Cradle-to-Cradle"-Produkte (abgekürzt als "C2C-Produkte") bezeichnet und sind zertifiziert. C2C-Vebrauchsgüter sollen sich als biologische Nährstoffe in biologische Kreisläufe zurückführen lassen und C2C-Gebrauchgsgüter sollen als „technische Nährstoffe“ kontinuierlich in technischen Kreisläufen erhalten bleiben. [2]
Das auch als Philosophie beziehungsweise System wahrnehmbare Cradle to Cradle-Konzept wurde von dem deutschen Chemiker Michael Braungart und dem US-amerikanischen Architekten William McDonough entwickelt.[1]
In diesem kurzen Video wird der Cradle to Cradle-Ansatz bildlich erklärt (vom 14.11.2014, abgerufen am 20.1.2020):
Das Problem der herkömmlichen Produktion
In der heutigen Kultur werden Produkte möglichst effizient hergestellt - allerdings mit Hilfe von Materialien, die einen Recycling-Prozess erzwingen, bei dem nur Teile recyclebar sind und der Rest als immer giftigerer Klärschlamm zur Entsorgung verbleibt. Beispiel: Altpapier hat in der Schweiz eine Sammelquote von über 90% - allerdings ist vom Altpapier nur 60% wiederverwertbar, die Zellulose. Der Rest ist durch die verwendeten modernen Farben und Chemikalien zu hochgiftigem Sondermüll geworden. Die Druck-Firma Gugler hat aufgrund des Cradle to Cradle-Gedankens in Zusammenarbeit mit dem EPEA-Umweltinstitut Hamburg Papier und Farben entwickelt, die keine Schadstoffe hinterlassen.
Dieses bisherige Konzept der "Ökobilanz" oder "Ökoeffizienz", also möglichst weniger giftig zu agieren und mehr einzusparen, führt nach Braungart letztlich nur dazu, dass man etwas langsamer "vor die Wand" fährt, statt tatsächlich "die Kurve zu kriegen".[2]
Die Vision hinter C2C
Die Vision hinter Cradle to Cradle ist eine Welt, in der man einfach alles wegwerfen kann, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen, und lediglich nährstoffreichen Abfall produziert. Produkte sollen so konzipiert sein, dass sie sich mühelos in anderer Form weiterverwenden lassen - ähnlich wie bei einem Baum, dessen Blütenblätter abfallen und komplett als verwertbare Nährstoffe dem Baum wieder zur Verfügung stehen.
Ihre Vision beschrieben Braungart und McDonough erstmals in ihrem Buch "Cradle to Cradle: Einfach intelligent produzieren" im Jahr 2002. Das Buch prägte die Begriffe "Cradle to Cradle" und "Ökoeffektivität". Die beiden Autoren fordern darin, einen Paradigmenwechsel von der gängigen Ökoeffizienz, also weniger schädlich und sparsam zu sein, hin zur Ökoeffektivität, also auf gesunde und kreislauffähige Produkt zu achten.[3]
Nach Braungart/McDonough muss intelligentes Produktdesign effektiv sein. Es soll einerseits das Richtige machen können und andererseits in allen Branchen, Produktlebenszyklen und Wertschöpfungsketten eine wirkliche Umweltfreundlichkeit erreichen können.[4]
Wie soll Cradle to Cradle funktionieren?
Das Cradle to Cradle Konzept soll durch das Einhalten von drei Grundprinzipien verwirklicht werden können, die vor allem auf dem Natur-Prinzip des reichhaltigen Überflusses beruhen. Das erfordert ein radikales Umdenken hin zu einer "Endlos"-Nachhaltigkeit.[2]
1. Prinzip: Kreislauf schließen
Das erste Prinzip, auf dem Cradle to Cradle beruht, ist die Herstellung eines komplett geschlossenen Kreislaufes. Produkte müssen folglich so hergestellt werden, dass sie entweder biologisch abbaubar sind und oder sich in wiederverwendbare Materialien zerlegen lassen.
Braungart/McDonough unterscheiden zwei Kreisläufe:[3]
- Der technische Kreislauf gilt für Gebrauchsmaterialien, die immer wieder zur Herstellung neuer Güter verwendet werden können.
- Der biologische Kreislauf gilt für Verbrauchsmaterialien, die während ihrer Benutzung wieder der Umwelt hinzugefügt werden.
Ein Beispiel: Aus einem Auto können Stahl und Kunststoff im technischen Kreislauf für ein neues Auto oder ein anderes Produkt verwendet werden. Die abgenutzten Reifen hingegen werden im biologischen Kreislauf wiederverwendet und als Dünger verwendet.
Es gibt natürlich Materialien, die erst im technischen Kreislauf mehrmals recycled werden können, bis sie den biologischen Kreislauf zugeführt und biologisch abgebaut werden.
2. Prinzip: Dienstleistung statt Besitz erwerben
Nach dem "Geiz ist geil"-Gedanken werden in unserer heutigen Kultur Produkte so billig wie möglich produziert und verkauft - mit der Folge, dass die Materialien minderwertiger und ungesünder werden.
Im Sinne des Cradle to Cradle Konzepts sollen statt Produkte Dienstleistungen verkauft werden - mit der Folge, dass Produkte möglichst lange halten die verwendeten Materialien hochwertiger und gesünder sind.
Als Beispiel nennt Braungart in seinem Cradle-to-Cradle Workshop beim Entrepreneurship Summit 2016 (vom 24.10.2016, zuletzt abgerufen am 20.1.2020) die Firma Schüco. Sie vertreibt hochwertige Solarprodukte, die nach 19 Jahren noch über 90% Leistung erbringen. Sie verkauft quasi die Dienstleistung "Einfangen der Photonen". Diese Leistung hat natürlich ihren Preis und kann schwer mit den billigen Konkurrenzprodukten aus China mithalten, die nach 5 Jahren nur noch 50% Leistung aufweisen und zeitnah erneuert werden müssen und bei der Entsorgung auch noch eine Menge unverwertbarer Rohstoffe, also Müll, binden.
Subventionen fördern nach Braungart vor allem die billigere Produktion und den billigen Verkauf anstatt die Langlebigkeit und Qualität eines Produktes.
3. Prinzip: Vielfältig sein
Dieses Cradle to Cradle-Prinzip verdeutlicht, dass keine allgemeingültige Lösung für ein Produkt gefunden werden soll, sondern verschiedene kreative Möglichkeiten zum Einsatz kommen sollen. Eine kluge Nutzung lokaler Materialien und Stoffströme sind willkommen und notwendig.[3]
Im Rahmen des jährlich stattfindenden Cradle to Cradle Kongresses werden solche vielfältigen Möglichkeit seit 2014 während Vorträgen, Workshops und Foren besprochen.
Die praktische Umsetzung
Das Konzept von Cradle to Cradle wird auf verschiedene Weise praktisch umgesetzt.
Cradle to Cradle Institute
Mehrere Vereine und Institute möchten Unternehmen bei der Umsetzung des Cradle to Cradle-Konzepts unterstützen und die Vision von Braungart und McDonough der Öffentlichkeit bekannt machen.
- Das EPEA-Umweltinstitut Hamburg wurde von Braungart gegründete und kann zur Untersuchung und Beratung zum Cradle to Cradle-Konzept angefordert werden.
- Der Verein Cradle to Cradle e.V. unterstützt die Öffentlichkeitsarbeit mit Kongress, Akademie und Fachforum sowie andere Veranstaltungen zum Thema.
- Die Umweltgutachter-Firma OmniCert erstellt Zertifikate für C2C-Produktreihen.
Die Cradle to Cradle Zertifizierung
Die Non-Profit-Organisation Cradle to Cradle Products Innovation Institute vergibt den Produktstandard "Cradle to Cradle Certified™", an Produkte, die die Cradle to Cradle-Maßstäbe erfüllen.
Wenn Unternehmen ihre Produkte zertifizieren lassen möchten, werden diese auf ihre ökologische und soziale Leistung in fünf kritischen Nachhaltigkeitskategorien bewertet:
- Materialgesundheit: Das Produkt wurde nur unter Verwendung von gesundheitlich unbedenklichen Materialien hergestellt.
- Materialwiederverwendung: Das Produkt lässt sich im technischen Kreislauf dauerhaft wiederverwenden oder in biologischen Kreislauf der Umwelt zurückführen.
- Erneuerbare Energien und Kohlenstoffmanagement: Die Herstellung des Produkts erfolgt nur mit erneuerbaren Energien und es entstehen kaum oder keine klimaverändernde Treibhausgase.
- Wasserwirtschaft: Wasser wird als wertvolle Ressource geschützt und entsprechend umsichtig verwendet.
- Soziale Gerechtigkeit: Alle Menschen und natürlichen Systeme, die an der Herstellung des Produkts beteiligt sind, werden ehrenhaft behandelt.
Jede Kategorie ist in die Leistungsstufen Basic, Bronze, Silber, Gold und Platin unterteilt. Die Gesamtzertifizierung des Produktes beruft sich auf die niedrigste erreichte Leistungsstufe. Wird das Produkt verbessert, kann es in seiner Zertifizierung aufsteigen. Unabhängig von der Veränderung des Produktes ist alle zwei Jahre eine Erneuerung der Zertifizierung notwendig.[5]
Im deutschsprachigen Raum erstellt die Umweltgutachter-Firma OmniCert Zertifikate für C2C-Produktreihen.
Cradle to Cradle-Produkte, C2C-Hersteller und -Händler
Viele unterschiedliche Firmen haben C2C-zertifizierte Produktlinien, wie zum Beispiel die Sportswear-Firma Trigema, Schüco Fenster- und Solar, Rehaus Wasserrohre oder C&A mit der Cradle-to-Cradle Kollektion, die sogar die Zertifizierungsstufe Gold erreicht hat[6]. In Norbert Blüms Film "Im Auftrag meiner Enkelin" (abgerufen am 3.2.2020] kommt auch das BIQ-Algenhaus (abgerufen am 17.1.2020) in Hamburg-Wilhelmsburg zur Sprache, das als Musterhaus auf der Internationalen Bauausstellung gebaut wurde und zu deutlich höherer Energieausbeute geführt hatte als erwartet.
Im Avocadostore, bei Waschbär oder bei memolife können beispielsweise Cradle to Cradle-Produkte gekauft werden. Viele C2C-Produkte finden sich auch bei Amazon, wie zum Beispiel:
- die Dopper Trinkflaschen,
- das Kopierpapier von Steinbeis,
- die Stabilo Greenpoint,
- die Bücher des Neunmalklug-Verlags.
- der Seifenspender von Van Houtum oder
- das Toilettenpapier der Firma Satino Black.
Kritik an Cradle to Cradle
Der größte Kritikpunkt am C2C-Prinzip ist, dass es die Konsum- und Wegwerfgesellschaft unterstützt, denn wenn Cradle to Cradle-Produkte kontinuierlich im Kreislauf rotieren und kein Müll dadurch entsteht, kann man theoretisch mit gutem Gewissen so viel konsumieren, wie man möchte. Vor allem Greenpeace kritisiert diesen Umstand insbesondere in Hinblick auf die Mode-Industrie und betont, dass Nachhaltigkeit sich in erster Linie an Abfallvermeidung und Langlebigkeit von Produkten orientiert. Für Kleidung bedeutet das, die Wertschätzung von Textilien zu stärken, anstatt ihr Wegwerfen zu fördern. [7]
Weitere Kritikpunkte sind[6]:
- Die Zertifizierung ist mit einem hohen bürokratischen Aufwand verbunden.
- Die C2C-Textilien dürfen nicht in der Biotonne entsorgt werden (Stand April 2018), weshalb der biologische Kreislauf nicht geschlossen werden kann.
- Produkte sollten vor allem langlebig konzipiert sein, da ihre Herstellung Ressourcen kostet.
Aktiv sein
Alles Wissen ist schön und gut. Doch um dein Leben wirklich zu verbessern, musst du schlussendlich aktiv werden.
Deshalb erhältst du im Abschnitt „Aktiv sein“ wertvolle Tipps, wie du zum Thema „Cradle to Cradle“ in die Umsetzung kommst - sei es mit Online-Kursen, Online-Kongressen, Coaches oder Büchern.
Also, such dir das passende Medium raus und dann rein in die Praxis!Bücher
- Cradle to Cradle: Einfach intelligent produzieren von Michael Braungart und William McDonough (2014); so kann eine ökologisch-industrielle Revolution aussehen, mit der Natur als Vorbild.
- Intelligente Verschwendung: The Upcycle: Auf dem Weg in eine neue Überflussgesellschaft von Michael Braungart und William McDonough (2014); stellen die Vervollkommnung unseres Lebensstils dar – gesundes Wohnen, freudvolles Arbeiten und die Errichtung zukunftsfähiger Städte.
Weiterlesen
Artikel
- Abfall ist Nahrung - Michael Braungart will die Wegwerfgesellschaft revolutionieren. Seine Ideen klingen toll. Sind sie auch praktikabel? Zeit-Artikel über die Praktikabilität von Cradle to cradle. Vom 12.11.2009, zuletzt abgerufen am 17.1.2019.
- Auf dem Weg zu einer humanistischen Ökologie - Auf dem Cradle to cradle Kongress hielt auch der Vorstandssprecher der Giordano Bruno Stiftung, Michael Schmidt-Salomon, ein Referat. Der hpd dokumentiert diese “philosophischen Hintergründe von Cradle to Cradle” in voller Länge. Vom 18.11.2014.
- Designer entwickelt Lederersatz - Lederersatz aus Ananas-Fasern, nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip - eine von vielen Möglichkeiten. vom 12.2.2015.
- Hamburger Energie- und Umwelttagung - Die jährliche Ende Oktober stattfindende Tagung wird gezielt ausgerichtet für mittelständische Unternehmen, um ihnen Informationsmöglichkeiten und ein Forum zu geben, ihre Innovationen im Bereich Cradle to cradle und Nachhaltigkeit vorzustellen
- Ökohaus mit Algenproduktion. Die Technik funktioniert, der Härtetest steht noch aus. - Ein vielbeachtetes Projekt der Internationalen Bauausstellung, die vor vier Jahren in Hamburg zu Ende ging, war das Algenhaus: Ein fünfgeschossiges Wohnhaus mit einer Fassade, in der Algen wachsen und auch Wärme produziert wird. Vom 14.3.2017.
Videos
- "Fahren wir vor die Wand? Letzte Ausfahrt Paris!" - Prof. Dr. Michael Braungart stellt die Umsetzung des Cradle-to-cradle-Prinzips auf der 7. Hamburger Energie- und Umwelttagung 2015 vor.
- Nie mehr Müll - Ein Leben ohne Abfall ist keine Utopie - WDR-Beitrag mit dem Thema "Cradle to Cradle" vom 11. Februar 2011
Filme
- Im Auftrag meiner Enkel - Norbert Blüm erkundet die Zukunft - Norbert Blüm erkundet verschiedene Ansätze zur Entwicklung der Welt - Prof. Braungart (Cradle to Cradle) mit einer ökologischen Mustersiedlung, die Haltung von Millionären, "für eine Zukunft ohne Habgier", Couchsurfing und vieles andere.
Weblinks
- braungart.com - Website von Prof. Dr. Michael Braungart
- c2c-centre.com - News zum Thema Nachhaltigkeit und C2C
- c2c-ev.de - Verein Cradle to Cradle e.V., Ausrichter des C2C-Kongress September 2018 an der Leuphania-Universität Lüneburg. Mit Regionalgruppen-Liste, Mediathek und youtube-Kanal.
- trigema.de - Natürliche, biologische & kompostierbare Kleidung, die dem Cradle to cradle-Prinzip folgt
Jeder Autor hat seine eigenen Passagen zu diesem Artikel beigesteuert. Deshalb muss nicht jeder Autor alle Passagen des Artikels unterstützen.
- ↑ a b Wikipedia-Artikel zu Cradle to Cradle, abgerufen am 20.1.2020
- ↑ a b c Revolution der Stoffkreisläufe, Vortrag von Prof. Braungart auf der 7. Hamburger Energie- und Umwelttagung Hamburg 2015, vom 23.12.2015, zuletzt abgerufen am 20.1.2020
- ↑ a b c Was ist eigentlich Cradle to Cradle?, vom 11.5.2021, abgerufen am 11.5.2022
- ↑ Cradle-to-Cradle-Vision, aus dem Lexikon der Nachhaltigkeit, abgerufen am 20.1.2020
- ↑ Produktzertifizierung, abgerufen am 7.12.2023
- ↑ a b Kreislauf mit Lücken, vom 24.4.2018, abgerufen am 3.2.2020
- ↑ Deshalb kritisiert Greenpeace die Ideen zur Kreislaufwirtschaft, vom 23.10.2017, abgerufen am 3.2.2020