Wenn du sprachbewusst bist, ist es dir bestimmt schon aufgefallen: An allen Ecken und Enden hört man derzeit Menschen ein kleines Wörtchen sagen, das zweckentfremdet wird: Es ist das Wort „genau“. In diesem Artikel liest du meine Meinung dazu – sie fällt nicht gut aus.

Die 3 Fälle, für die man „genau“ eigentlich eingesetzt

Das Wort „genau“ drückt aus, dass etwas exakt passt. Beispiele: „Genau zur richtigen Zeit“ oder „genau die richtige Frau für uns“.

Es kann auch als Verstärkung eingesetzt werden: „Genau das wollte ich sagen.“

Und dann noch der dritte Fall: man kann „genau“ auch sagen um Aussagen anderer zu bestätigen: Person 1 tätigt eine Aussage. Und Person 2 stimmt daraufhin zu mit „Genau! (So ist es)“.

Für was „genau“ derzeit zweckentfremdet wird

Kommen wir direkt zum Punkt: „Genau“ wird seit mehreren Jahren als Lückenfüller eingesetzt. Ich muss genauer sein: Als völlig substanzloser Lückenfüller, ähnlich wie die Pseudofloskel „alles gut“.

Menschen verwenden es vor allem dann, wenn sie vor anderen reden – also zum Beispiel in Diskussionsrunden, in Online-Meetings oder sogar in Vorträgen.

Sie verwenden es in etwa so:

„Der erste Satz. Genau. Noch ein Satz. Genau.“

„Genau“ wird in dem Fall also zur Bestätigung eingesetzt. Allerdings fehlt ein direkter Gesprächspartner. Die Aussage kommt von Person A, und dann bestätigt wiederum Person A seine/ihre eigene Aussage.

Eigentlich obliegt es den Zuhörenden „genau“ zu sagen. Aber nein, aus irgendwelchen Gründen nimmt der/die Sprechende diese Bestätigung den Zuhörenden ab und sagt einfach selbst „genau“.

Und das Erschreckende: Normalerweise bleibt es nicht beim einmaligen „genau“, sondern es kommt gefühlt alle 30 Sekunden. Am Ende nimmt man als Gegenüber vielleicht nur ein einziges Wort aus dem Gespräch mit: nämlich „genau“.

Die 2 möglichen Gründe für den Genau-Wahn

1. Grund: „Genau“ ersetzt „Äh“ und „Ähm“

Das ist vermutlich der häufigste Grund. Früher sagte man „Äh“, jetzt sagt man „Genau“. Wobei es einen Unterschied gibt: „Äh“ kann man auch mitten im Satz sagen, „genau“ wird jedoch überwiegend am Ende eines Satzes gesagt.

So oder so sind es in beiden Fällen reine Füllwörter. Und diese kann man einfach weglassen. Das war auch der Tipp, den damals der Vorsitzende des Rhetorik-Clubs in Nürnberg immer parat hatte: „Lasst das Äh einfach weg.“ In die heutige Zeit übersetzt: „Lasst das genau einfach weg.“

Aber das muss man üben. Man muss sich zugestehen, eine Pause machen zu dürfen zwischen zwei Sätzen oder zwischen zwei Worten. So viel Zeit haben wir aber zum Glück, oder wir sollten sie uns zumindest nehmen.

2. Grund: „Genau“ als Selbst-Bestätigung des Selbst-Gesagten

Doch es gibt noch mindestens einen zweiten Grund. Vermutlich verwenden manche „genau“ auch aus Unsicherheit. Sie versuchen sich selbst eine Bestätigung zu geben, nachdem sie einen oder mehrere Sätze gesagt haben.

So im Sinne von:

„Ja, so ist das. Was ich gerade gesagt habe, stimmt.“

Wie gesagt obliegt die Einordnung des Gesagten in richtig/falsch in meinen Augen aber dem Gesprächspartner.

Ich kann also auch in diesem Fall nur dazu zu raten, das Wörtchen „genau“ einfach wegzulassen. Einfach nichts sagen und den anderen weiterreden lassen – oder selbst weiterreden – eben ein Gespräch auf Augenhöhe führen, ohne andauernd alles Selbst-Gesagte selbst zu bestätigen.

Vermutlich kann es in diesem Fall auch hilfreich sein, am eigenen Selbstbewusstsein zu arbeiten.

Mitmachen? Nein, danke.

Ich hab mich vor ein paar Monaten ehrlicherweise auch schon dabei erwischt „genau“ als Lückenfüller zu sagen. Aber ich bin so sprachbewusst, dass es mir direkt aufgefallen ist und ich mir gesagt hab: „Lass den Quatsch. Da musst du nicht mitmachen.“

Zusammenfassend hoffe ich, dass sich diese Modeerscheinung bald wieder in Luft auflöst. Denn mit „genau“ als Lückenfüller ist niemandem wirklich geholfen.

Und du?

Ist dir der Genau-Wahn auch schon aufgefallen und wenn ja, wie stehst du dazu? Ich freue mich auf die Diskussion in den Kommentaren.