In meiner Praxis kommt es immer wieder vor, dass Menschen sich über ein ihrer Auffassung nach ‚schlimmes‘ Elternhaus beklagen und der Mutter, dem Vater oder beiden die Schuld für ihre gegenwärtigen Probleme geben. Aber warum überhaupt kann der Eindruck entstehen, dass ein Elternteil oder die Eltern gemeinsam ‚Schuld‘ an dem haben, wenn etwas im eigenen Leben nicht so funktioniert?

In diesem Blogeintrag möchte ich dir erklären, welche Verbindung das Ego, das Rollen-Ich und die Beziehung zu deinen Eltern haben und wie du daran, dein persönliches Lebensthema erkennen kannst.

Was ist das „Ego“?

Um verstehen zu können, wie es überhaupt möglich ist, dass wir Menschen in unserem Leben bestimmte Rollen einnehmen können und wie diese Rollen zu unserer Entwicklung beitragen, ist die Kenntnis darüber notwendig, was das Ich ist, für das wir uns gewöhnlich halten und das im allgemeinen Sprachgebrauch oft als Ego bezeichnet wird. Denn dieses ‚Ich‘ ist es, das uns Rollen in unserem Leben in bestimmter und individueller Art und Weise zum Ausdruck bringen lässt.

Das Ego ist ein hochspezialisierter Aspekt unseres Selbst, der nach außen gerichtet ist. Es ist der Teil von uns, der sich am unmittelbarsten mit der Außenwelt, mit dem Leben in der physischen Welt, auseinandersetzt, das durch unser tieferes Selbst, das wir sind, gelebt wird.

Das Ego ist eine Erscheinungsform, die aus etwas emporsteigt, das viel tiefer und weiter ist als es selbst. Und doch ist es ein Teil davon.

Es setzt sich aus verschiedenen Persönlichkeitskomponenten zusammen und ist eine Kombination sich ständig wandelnder Eigenschaften, die Gesamthaft agieren.

Man kann das Ego auch als eine Art psychologische Struktur definieren, die aus Eigenschaften zusammengesetzt ist, die zu der Persönlichkeit als Ganzes gehören und eine Art Oberflächenidentität bilden. Keine oberflächliche Identität, sondern eine Oberflächenidentität, die sich mit der physischen Welt beschäftigt und in ihr agiert.

Das Ego hat im Wesentlichen zwei Funktionen:

Das Ego und die Erfahrung der Getrenntheit

Das Ego lässt uns als getrennt vom anderen wahrnehmen. Hier gibt es das ‚Ich‘, das, was ich bin, und dort gibt es das ‚Du‘, das, was du bist. Ich bin hier und du bist dort. Und ich bin anders als du.

Ohne das Ego könntest du und ich uns nicht als jeweils unterschiedliches Individuum erkennen und erleben. Das Ego ermöglicht die Erfahrung von ich und du.

Das Ego und das Rollen-Ich

Die zweite wesentliche Funktion des Egos ist die des Rollen-Ich, das eine große Bedeutung für den evolutionären Weg unserer selbst besitzt.

Jeder Mensch nimmt in seinem Leben die unterschiedlichsten Rollen ein und lebt diese Rollen gewöhnlich eine gewisse Zeit. Zu den verschiedenen Rollen, die ein Mensch in seinem Leben spielt, gehören zum Beispiel die Rolle der Ehefrau, des Ehemanns oder der Mutter, des Vaters, der Schwester, des Bruders, der Arbeitskollegin oder des Arbeitskollegen, der oder des Vorgesetzten, der Nachbarin oder des Nachbarn, die Rolle der Freundin oder des Freundes usw.

Die Bedeutung des Rollen-Ich der Eltern

Im Folgenden möchte ich die Bedeutung des Rollen-ich anhand der Eltern-Kind-Beziehung näher erläutern, weil viele Menschen, Probleme in ihrer Beziehung zu einem oder beiden Elternteilen beklagen.

Eine Frau sagte einmal wörtlich zu mir: „An meinem verpfuschten Leben ist alleine meine Mutter schuld. Darum schaue ich sie nicht mehr an.“

Seit fast fünfzehn Jahren hatte sie ihre Mutter nicht mehr gesehen.

Aus Sicht der oder des Betreffenden haben solche Aussagen ihre Bedeutung, denn sie entsprechen der subjektiven Wahrheit.

Doch was genau hat das mit den Eltern einerseits und der Person andererseits zu tun? Worin besteht die Verbindung? Was für ein tieferer Sinn steckt in einer solchen Konstellation?

Die einzelnen miteinander verwobenen Seelenpläne sehen vor, welche der beteiligten Seelen die Rolle der Eltern in welcher Weise übernehmen. Wir wählen uns die Eltern nach der Rolle aus, die sie spielen. Das tun wir aus gutem Grund, denn die Eltern helfen uns dabei, diejenige Persönlichkeit in uns entstehen zu lassen, durch die wir uns in die Lage versetzen, uns mit denjenigen Themen zu beschäftigen, die unserem evolutionären Weg dienlich sind.

Ein Beispiel am Lebensthema Selbstliebe

Zu den möglichen Themen gehören zum Beispiel Selbstliebe, Selbstachtung, eigene Wertschätzung, Eigenverantwortung usw… Die Rolle, die ein Elternteil oder beide Elternteile einnehmen, bringt uns mit unseren Lebensthemen in Kontakt. Die Art und Weise, wie Eltern ihre Rolle zum Ausdruck bringen, bietet in Wahrheit Hilfe und Unterstützung im Hinblick auf das, was jemand sich für sein Leben vorgenommen hat. Es ist ein Akt der Liebe, auch wenn es im Moment des Erlebens manchmal alles andere als Liebe zu sein scheint.

Nehmen wir an, dass das Thema, um das es in deinem Leben geht, die Selbstliebe ist. Dann wirst du vielleicht Eltern erleben, die entsprechend ihrer Rolle, nicht sehr liebevoll mit dir umgehen. Dadurch entsteht in dir ein Mangelgefühl, ein Gefühl, dass irgendetwas fehlt. Aus dieser Bedürftigkeit heraus und um den Mangel loszuwerden bzw. zu befriedigen, begibst du dich auf die Suche, in der Regel zunächst im Außen und du wirst Ereignisse und Menschen in dein Leben ziehen, die dich mit dem Thema Selbstliebe konfrontieren.

Sehr häufig wirst du Liebesbeziehungen eingehen in der Hoffnung und dem Glauben, dich selbst lieben zu können, wenn der Partner dich liebt. Du überträgst damit dein Bedürfnis nach Liebe, dein Bedürfnis, Liebe zu spüren und zu erfahren, auf einen anderen Menschen. In der Regel scheitern diese Verbindungen früher oder später.

Wenn du das zugrundeliegende Thema nach Beendigung der Beziehung noch nicht erkannt und verstanden hast, dann wirst du dich wieder auf die Suche im Außen begeben. Du wirst eine weitere Beziehung eingehen, in der dein neuer Partner dir dein Thema erneut widerspiegelt. Du drehst dich in diesem Rad so lange, bis der Schmerz und das Leid so groß geworden sind, dass du aufgibst, deine Liebe im Außen zu suchen.

Das ist dann oft der Punkt, an dem du dich nach innen wendest und beginnst, in dir nach dem zu suchen, was du bisher im Außen trotz aller Anstrengung und bis zur völligen Erschöpfung nicht gefunden hast. Und dieses Nach-Innen-Gehen, ermöglicht dir, dich weiter zu entwickeln. Es ist ein entscheidender Schritt auf deiner persönlichen evolutionären Reise.

Wenn du ein Elternthema haben solltest, dann kann dir dieses Wissen helfen, deine Eltern in ihren Rollen einerseits und deine eigenen Handlungen andererseits besser zu verstehen.

Dieses Wissen öffnet dir die Tür des tieferen Verstehens der ‚Rollen-Ich‘ deiner Eltern, aber auch der anderen Menschen in deinem Leben, was zu einer ganz neuen Qualität deiner Beziehungen führen wird. Die Frage nach Schuld hat sich dann erübrigt. Die Emotionen des Ärgers, der Wut und des Hasses werden verblassen und sich gänzlich auflösen. Stattdessen wirst du ein Gefühl von Frieden in dir spüren, das dich innerlich befreit. Und du wirst frei sein.

Vielen Dank für dein Interesse und alles Gute…

Dein Thomas